Kommentar

Die falschen Brüder

Was man sich im Kreml wohl nur in den kühnsten Träumen ausgemalt hat, ist mit der Wahl Donald Trumps Realität geworden. Doch der neue amerikanische Präsident wird nicht nach Putins Pfeife tanzen.

Andreas Rüesch
Drucken
Ein Graffiti zeigt Trump und Putin vereint mit erhobenem Zeigefinger – es hat mit der Realität nicht viel zu tun. (Bild: Geoff Swaine / Photoshot / Keystone)

Ein Graffiti zeigt Trump und Putin vereint mit erhobenem Zeigefinger – es hat mit der Realität nicht viel zu tun. (Bild: Geoff Swaine / Photoshot / Keystone)

Als Russland vor zwei Jahren in eine Wirtschaftskrise stürzte, kam in Moskau ein neuer Flüsterwitz auf: «Noch nie hatten wir ein so schlechtes Leben wie unter Obama!» Parodiert wurde so der Versuch des Kremls, mit immer schrillerer Propaganda die Verantwortung für die Misere auf die USA abzuschieben. Nun, da Obama weg ist, macht es den Anschein, als freue sich Russland wie ein kleines Kind auf das gute Leben mit Präsident Trump. Ein Staatssender blendete im Januar auf den Fernsehschirmen einen Countdown ein, der die Tage bis zum Machtwechsel in Washington zählte. Das Kaufhaus Wojentorg, das Militärartikel aller Art anbietet und Russlands Verteidigungsministerium gehört, schmückte seine Schaufenster mit Trump-Plakaten und gewährte amerikanischen Staatsangehörigen Spezialrabatte. Der bisher nie als Amerika-Freund aufgefallene Ultranationalist Schirinowski empfahl seinen Mitbürgern, sich am Tag von Trumps Amtsantritt festlich zu kleiden und das Champagnerglas zu erheben. Selbst der bärbeissige Aussenminister Lawrow schwärmte kürzlich von den «unbegrenzten Möglichkeiten» der Kooperation mit den USA.

Allianz der Traditionalisten?

Auch im Westen erwarten viele einen Kurswechsel unter Trump, vor allem wegen dessen drastischer Äusserungen im Wahlkampf. Während er enge Verbündete Amerikas systematisch schlechtmachte, verteidigte er Putin gegen jede Kritik und zeigte offene Bewunderung für den starken Mann in Moskau. Dass Russland die Krim illegal besetzt hält und weiter Krieg führt in der Ostukraine, wollte Trump ebenso wenig wahrhaben wie die Tatsache, dass die Nato das stärkste Instrument der USA ist, um Putin in die Schranken zu weisen. Kein Wunder, geistert das Schreckgespenst eines «Grand Deal» zwischen Moskau und Washington herum, eines Pakts, in dem sich die beiden Mächte über die Köpfe der Europäer hinweg auf eine Neuaufteilung ihrer Interessensphären einigen würden. Das Nachsehen in diesem Szenario hätten die Ukrainer und Balten, die dem Machthunger Russlands ausgeliefert wären, aber auch etwa die Gegner Asads in Syrien, die ihre letzte Hoffnung auf amerikanische Hilfe im Kampf gegen die Achse Damaskus–Teheran–Moskau aufgeben müssten.

Einige Medien glauben auch bereits entdeckt zu haben, wer der Finsterling hinter solchen Plänen ist: Stephen Bannon, der ideologische Bannerträger der nationalistischen Rechten in den USA und Chefstratege des neuen Präsidenten. Bannon hatte einst bei einer Traditionalisten-Veranstaltung im Vatikan eine tiefe Krise des «jüdisch-christlichen Westens» diagnostiziert, die «zersetzende» Wirkung des Säkularismus dafür verantwortlich gemacht und angedeutet, dass Putin mit seiner traditionalistischen Gesellschaftspolitik ein attraktiver Verbündeter christlich-konservativer Kreise in den USA sein könnte.

Moskau hat für
einen «Deal» wenig
zu bieten – das dürfte Geschäftsmann Trump schnell bemerken.

Amerika und Russland – vereint im Kampf gegen den moralischen Niedergang des Abendlands, gegen Säkularismus, Islamismus und womöglich auch gegen die atheistische Grossmacht China? Wer in solchen Szenarien schwelgt oder darob erschrickt, tut gut daran, einigen Realitäten ins Auge zu blicken. Für eine amerikanisch-russische Allianz – die erste seit dem Anti-Hitler-Bündnis im Zweiten Weltkrieg – fehlen die nötigen Voraussetzungen. Es spricht viel dafür, dass im Verhältnis der beiden Staaten schliesslich die Kontinuität überwiegen wird. Gewiss, Trump wie auch Putin sind stets für Überraschungen gut – und Prognosen entsprechend sehr schwierig. Aber einige vage Äusserungen aus dem Wahlkampf und aus dem Kontext gerissene Gedanken eines Chefideologen kommen noch längst nicht einem tragfähigen aussenpolitischen Konzept gleich.

Zunächst ist daran zu erinnern, dass Trump mit seinem Wunsch nach besseren Beziehungen zu Russland den Fussspuren seiner Vorgänger Bush und Obama folgt. Beide hatten anfangs grosse Hoffnungen in eine Zusammenarbeit mit Putin gesetzt und wurden mit den Jahren bitter enttäuscht. Trump steht wohl dieselbe Erfahrung bevor. Es sind primär vier Gründe, die Zweifel an einer Verbrüderung der beiden Seiten wecken. Erstens – und dies wird der Geschäftsmann Trump sofort bemerken – hat Moskau für einen «Deal» wenig zu bieten. Russen fällt es leicht, eine lange Wunschliste zuhanden der Amerikaner aufzustellen. Weit oben stehen das Ende der Sanktionen, die Duldung der Krim-Annexion, die Umwandlung der Ukraine in einen neutralen Pufferstaat, der Abzug der Nato-Truppen aus dem Baltikum, die Anerkennung der russischen Hegemonie in Syrien. Aber Diplomatie besteht nicht nur aus Nehmen, sondern auch aus Geben.

Es fehlt das nötige Vertrauen

Was kann der Kreml in die Waagschale werfen? Ein Ende der militärischen Störmanöver Russlands an der Nato-Ostgrenze wäre hilfreich, aber wenn der Preis dafür lautet, den Landraub in der Ukraine zu akzeptieren, wäre dies ein schlechter Tausch. Trump – fixiert auf die Rivalität mit China – könnte ein Interesse an einer Auflösung der strategischen Partnerschaft zwischen Moskau und Peking haben. Doch davon will der Kreml nichts wissen, mit gutem Grund. Ebenso lehnt es Russland ab, sein Atomarsenal weiter abzurüsten. Bleibt das Angebot Putins, mit den USA eine Allianz zur Bekämpfung der Terrormiliz IS zu bilden. Auch Trump hat diesen Kampf zur Priorität erklärt. Aber in der Praxis stehen einer militärischen Kooperation viele Hürden im Weg. Klar ist zudem, dass es Putin nicht um den IS geht, sondern um die Stärkung seines Klienten Asad. Trump befindet sich derweil im gleichen Dilemma wie Obama: Er muss lavieren zwischen den Interessen der syrisch-kurdischen Verbündeten, jenen der Türkei sowie der öffentlichen Meinung in den USA, die es nicht hinnähme, wenn amerikanische Luftoperationen den indirekten Effekt hätten, das Asad-Regime zu stützen.

Ein zweiter Hinderungsgrund ist das fehlende gegenseitige Vertrauen. Putin hat den Westen wiederholt hintergangen, und auf das Wort Trumps ist vorerst wohl ebenfalls wenig Verlass. Beide Seiten werden das Risiko scheuen, über den Tisch gezogen zu werden. Der dritte Grund, der gegen ein anhaltendes Tauwetter spricht, ist innenpolitischer Natur. Das Feindbild Amerika war in den vergangenen Jahren überaus nützlich für Putin. Er konnte damit von Missständen ablenken, eine Wagenburg-Stimmung schüren und regimekritische Stimmen als «westliche Agenten» verunglimpfen. Ob der Kreml auf sein geliebtes Feindbild verzichten kann, ist fraglich. Dass die Stagnation im Lande hausgemacht ist, träte jedenfalls nur noch deutlicher zutage.

Viertens ist zu berücksichtigen, dass Trump mit seiner russlandfreundlichen Rhetorik in seiner Partei völlig isoliert dasteht. Selbst der vielzitierte Bannon hat Putin als Kleptokraten bezeichnet, vor dem man sich hüten solle. Noch harschere Töne kommen aus dem republikanischen Establishment, das die russische Führung unisono als Bedrohung einstuft. Auch wenn Trump weitreichende Kompetenzen in der Aussenpolitik hat, kann er die Haltung seiner Partei nicht völlig missachten. Er wird sich überlegen müssen, ob ihm die Russlandpolitik so wichtig ist, dass er darob einen Konflikt mit dem Kongress riskieren möchte. Bei nüchterner Betrachtung wird er seine Prioritäten wohl anders setzen.

Ein Gegner, kein Partner

Donald Trump erklärte im Wahlkampf mehrmals, dass es gut wäre, wenn Amerika und Russland besser miteinander auskämen. Damit hat er recht. Doch die desillusionierende Erfahrung mit dem verbrecherischen Regime Putins lässt sich nicht einfach ausblenden. Solange Russland darauf abzielt, den Westen zu schwächen, die EU zu spalten und mit Hackerangriffen die amerikanische Demokratie zu untergraben, ist es nicht als Partner zu betrachten, sondern als strategischer Gegner, dem mit aller Klarheit Grenzen gesetzt werden müssen. Erst wenn der Kreml diese Entschlossenheit spürt, wird er seine aggressive Aussenpolitik mässigen. Hierin liegt derzeit die grösste Unbekannte: Die Gefahr besteht weniger darin, dass Trump eine allzu grosse Nähe zu Moskau suchen wird. Sie besteht vielmehr darin, dass der neue Präsident Russland aus dem Blick verliert. Denn die von dort ausgehenden Bedrohungen dürfen nicht ignoriert werden und bleiben eine Herausforderung, die Europa nur gemeinsam mit Amerika meistern kann.